Eröffnung der Ausstellung „Déjà vu" von Martin Gensbaur

im Taubenturm Diessen am Ammersee (16.10.2005)

„Déjà vu – Neue Bilder“ heißt diese Ausstellung. Eigentlich ein Widerspruch:

Man würde erwarten: „Déjà vu – Alte Bilder“. Diese Widersprüchlichkeit sagt manchesmaus über den Maler Martin Gensbaur. „Déjà vu“ – das könnte daran erinnern, dass wir vor fast 10 Jahren (1996) diesen Maler schon einmal sehr erfolgreich hier ausgestellt haben. Und Gensbaur ist keiner von denen, die der staunenden Öffentlichkeit alle paar Jahre einen neuen Stil oder gar eine ganz andere Kunstgattung präsentieren. Man erkennt seine Bilder auf den ersten Blick, der Wandel seiner künstlerischen Auffassung ist ganz langsam und konsequent.

Nach eigener Aussage will Gensbaur mit „Déjà vu“ andeuten, dass die Diessener die meisten dieser Bilder schon einmal sehen konnten, im Schaufenster an der Hofmarkstraße. Da, wo der Künstler mit seiner Familie lebt, und wo eben von früheren Läden noch die Schau-fenster erhalten sind. Ich weiß nicht, ob es Ihnen auch so geht: Mit diesen Schaufenstern habe ich ein Problem. Sie machen mich nicht an. Meistens fahre ich ja nur mit dem Auto zügig dar-an vorbei, nehme nur aus dem Augenwinkel wahr – ach, da hängt wieder ein neuer Gensbaur. Also „Déjà vu“ – die Bilder werden aus dem lebensnaheren Schaufenster nun in den Galerie-raum transferiert. Hier hängen sie würdig vor weißer Wand, wie man das seit etwa 60 Jahren von richtiger „Kunst“ erwartet.

Oder soll sich „Déjà vu“ auf die Inhalte der etwa 20 Bilder beziehen, die wir hier be-trachten können? Fast bei jedem Motiv sagt man sich: Kenne ich genau. Bisweilen sagt man sich vielleicht auch: Wäre ich nicht auf die Idee gekommen, so was zu malen. Vielleicht noch nicht mal zu fotografieren. Da ist wieder diese Widersprüchlichkeit: In geradezu altmeister-licher Technik malt Martin Gensbaur Jahr für Jahr die Gegenstände, vor allem die Architek-turen  des Alltags. Nun entstehen aber daraus weder „moderne Genrebilder“, noch Werke der Pop-Art, noch gar sozialkritische Anklagebilder.

Allenthalben schwingt Kunstgeschichte mit. Kein Wunder: Gensbaur hat einen Lehr-auftrag in Kunstgeschichte an der Universität Eichstätt, Abteilung München. Er tut auch  sonst noch viel außer malen, vor allem unterrichten. Kunstgeschichte also. Je nachdem, wel-che Seh-Erfahrung einer mitbringt, stellen sich verschiedene Assoziationen ein. Wie Cézanne umkreist er seine „Motive“. Nicht auf der Suche nach möglichst spektakulären Ansichten oder Ausschnitten, sondern in der vom Auge des Malers geleiteten Absicht, das „Eigentliche“ zu entdecken. Das Malerauge unterscheidet dabei nicht zwischen bedeutend und unbedeutend, zwischen idyllisch und banal – wohl nicht mal zwischen schön und hässlich im alltäglichen Sinne.

Wie ich voller Verblüffung der Homepage des Künstlers entnahm, habe ich ihn bei un-serer letzten Ausstellungseröffnung als „Denis Hopper vom Ammersee“ bezeichnet. Bin selbst ganz beeindruckt über diese Formulierung. Kunstgeschichte also. Da ich mich zur Zeit viel mit der Berliner Secession beschäftige, fällt mir noch ein Name ein, den die meisten von Ihnen gar nicht kennen werden: Walter Leistikow. Er hat die Seen bei Berlin in ähnlicher Weise angeschaut. Der Kaiser war sehr unzufrieden mit dieser Kunst, aber auch viele Kollegen waren damals befremdet.

Die Bilder, die Gensbaur gleichzeitig im Landsberger Neuen Stadtmuseum ausstellt, stehen unter dem Motto „Piazze d’Italia“. Das ist ein Zitat nach Giorgio de Chirico, dem großen Surrealisten, der in München studiert hat, ohne den gleichzeitig reitenden Blauen Reiter überhaupt wahrzunehmen. Kunstgeschichte also, und auch die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, die für Gensbaur auch von Bedeutung ist.

Und wo steht Gensbaur hier und jetzt, in der gerade zur Geschichte gerinnenden Gegen-wart? Anders als vor 10 Jahren wirkt sein Werk heute ganz aktuell: Nicht so ekstatisch wie die jungen Leipziger, nicht so banal-depressiv wie der shooting-star Florian Süßmeier, aber doch irgendwo auf einer gedachten Linie zwischen diesen Extremen. So gesehen ein inter-essanter Fall: sich selbst gleichbleiben, aber dadurch plötzlich modern werden.

Was assoziiert man vor diesen Bildern? Ich denke, dass man mehrere Erkenntnisstufen überschreiten muss. Zuerst wird man wohl die Ebene des rein Gegenständlichen betreten, er-kennen und aktzeptieren, dass es sich um Motive handelt, die wir alle schon oft „gesehen“, aber noch nie „betrachtet“ haben. Häufig Motive, die uns prima vista als zu banal für die bildliche Wiedergabe scheinen.

Wenn man das Motivische abgehakt hat, dann kommt die Wahrnehmung des Lichts in den Blick. Die Architekturen, aber auch die Landschaften strahlen ein warmes von innen kommendes Licht aus. Und man stellt sich vor, wie der Maler gerade durch das jeweilige Licht zu seinen Bildern inspiriert wurde. Die Farben sind wie durch Licht gefiltert. Kräftig, aber wie unter einem dünnen Hauch aus Lichtstaub. Für die gemalten Schatten gilt dasselbe.

Und wenn man so weit ist, dann springt einen etwas Magisches an. Magisch, aber nicht im Sinne von Hokuspokus, sondern im Sinne einer ruhigen inneren Spannung, eines Geheim-nisses. Da meistens keine Menschen auf den Bildern zu erkennen sind, tendiert man dazu, die Gegenstände – wie bei einem Stilleben – zu personalisieren. Oder man sieht in allem poeti-sche Metaphern – also nochmal „Kunstgeschichte“: Vanitas-Stilleben des Barock, die starren Fotos von Jeff Wall, die menschenleeren Architekturaufnahmen von Hilla und Bernd Becher.

Und wenn man an diesem Punkt angelangt ist, dann bleibt Schönheit, über die sich nach heutiger Auffassung kaum mehr reden lässt. Als Immanuel Kant sich bemühte, die Schönheit zu definieren, prägte er den oftmals missverstandenen Begriff des „interesselosen Wohlgefal-lens“ . Vor diesen Bildern kann man gut erklären, was er damit meinte: Man schaut so einen gemalten italienischen Plattenbau-Palazzo nicht an, weil man unbedingt darin wohnen möch-te; man möchte den Wäschetrockner oder die alte Kinderschaukel nicht wirklich besitzen, man ist insoweit „interesselos“. Aber das Wohlgefallen bezieht sich eben nicht auf Besitz oder wirtschaftlichen Nutzen, gar nicht auf den dargestellten Gegenstand, sondern – auf die Schönheit der Wiedergabe. Wenn Sie so wollen des Kunstwerks.

Thomas Raff